interview

Wildling Shoes stellt nachhaltige und gesunde Kinderschuhen her.

Interview mit WILDLING SHOES

Mai, 2020

Unsere Füße tragen uns buchstäblich durchs Leben. Anna und Ran sind die passionierten Gründer von Wildling Shoes, einem Label, mit dem sie eine neue Generation von nachhaltigen und gesunden Kinderschuhen ins Leben gerufen haben. Was mit der Suche nach Schuhen begann, mit denen ihre Kinder immer und überall barfuß laufen können, mündete in ein besonderes Herzensprojekt. Anna und Ran entwickelten ein Minimalschuhkonzept, das einen natürlichen Bewegungsablauf ermöglicht, wodurch sich die Füße gesund und kräftig entwickeln können. Ihre drei Kinder sind der Grund und die Inspiration für die aufregende und spannende Reise von Wildling Shoes. Anna nimmt uns im Interview hinter die Kulissen Ihres Labels mit:

Photo: Wildling

Was war der Startschuss für „Wildling Shoes“ und wie begann die Reise, diese Marke zu gründen?  

Unsere Kinder sind in Israel geboren und dort die ersten Jahre bei immer schönem Wetter quasi barfuß aufgewachsen. Als wir 2013 nach Deutschland gezogen sind, brauchten die Kinder im Winter das erste Mal feste Schuhe, konnten und wollten diese aber mit ihren Freiheit gewohnten Füßen nicht tragen. Bei näherer Beschäftigung mit dem Thema haben wir festgestellt, dass konventionelle Schuhe tatsächlich häufig der Grund für Fußprobleme sind - 98% aller Kinder werden mit gesunden Füßen geboren, aber nur ein Fünftel aller Erwachsenen haben noch gesunde Füße.

Photo: Wildling

Wie kam es, dass Ihr Euch überhaupt dazu entschieden habt, Barfußschuhe zu entwerfen?

Nachdem uns klar wurde, dass das "Schuhproblem" sehr viele Menschen betrifft und wir keine Lösung auf dem Markt finden konnten, mit der wir richtig zufrieden waren, haben wir uns selbst an die Arbeit gemacht. Das war leichter gesagt als getan, weil wir beide überhaupt keine Ahnung davon hatten, wie man Schuhe macht. Das war aber auch ein gewisser Vorteil, weil wir das Produkt komplett neu überdenken konnten.    

Welche Idee und Philosophie steckt hinter der Gründung Eures Labels?

Wildling bedeutet für uns, ein Stück Freiheit in ein Paar Schuhe zu packen. Freiheit, die mit den Füßen beginnt, sich aber auf den ganzen Körper und das Lebensgefühl überträgt. Unsere Füße sind dazu gemacht, den Boden zu erspüren und uns in direkten Kontakt mit der Natur ringsum zu bringen. Aber dadurch, dass wir von klein auf Schuhe tragen, haben wir ganz vergessen, wie sich das eigentlich anfühlt. Mit unseren Minimalschuhen wird Laufen wieder zu einem Sinneserlebnis.  

Photo: Wildling

Was waren Eure Impulse langlebige und fair produzierte Schuhe herzustellen?

Für uns war Nachhaltigkeit nie Alleinstellungsmerkmal sondern eine Selbstverständlichkeit. Natürlich kann man nicht von Anfang an alles richtig machen. Viele Themen sind extrem komplex und eher ein langer Weg ständiger Optimierungen. Uns war jedoch klar, dass wir nur ein Produkt auf den Markt bringen, hinter dem wir stehen können - auch was die verwendeten Materialien und die Art der Herstellung betrifft.


Was macht „Wildling Shoes“ so einzigartig und was möchtet Ihr mit Eurem Label verändern?

Wir sind mit sehr viel Leidenschaft und Kompromisslosigkeit in die Gründung und Produktentwicklung gegangen und haben uns das bis heute beibehalten können. “Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg” trifft nach wie vor auf viele Bereiche zu - wir suchen häufig nach eigenen Lösungen, weil der Standard uns nicht zufriedenstellt. Diese Lösungen teilen wir auch gern mit anderen und freuen uns sehr, wenn wir hier und da einen Impuls liefern können, der die Branche insgesamt nachhaltiger, fairer und innovativer macht.   

Photo: Wildling

Wie entwickelt ihr neue Artikel?  

Wir arbeiten mit einem recht schlanken Portfolio, das auf dem Grunddesign der Schuhe und Sohle basiert. Da gibt es einen Halbschuh, einen Mid-Cut und einen Stiefel und seit letztem Jahr auch eine Sandale. Produktentwicklung bezieht sich hier eher auf eine kontinuierliche Optimierung von Passform und Funktion, den Einsatz neuer Materialien und natürlich auch ein kreatives Spiel mit dem saisonalen Kollektionsdesign. Wir haben ein kleines Team von fünf Frauen, die sich gemeinsam mit Ran (meinem Mann und Mitgründer) um Produktentwicklung, Qualität, Materialentwicklung und Design kümmern, häufig in Zusammenarbeit mit unserem Team in Portugal. Bei uns entstehen Entwürfe, Ideen, grobe Prototypen und Farbzusammenstellungen, in Portugal geht es dann an den Feinschliff und die Vorbereitung für die Produktion.   

Worauf achtet Ihr, um Euch von anderen Herstellern abzuheben?  

Von Anfang an haben wir eigentlich unser Ding gemacht und eher selten mal nach rechts und links geschaut, um uns zu vergleichen. Das ist bis heute so und ich finde das auch sehr angenehm. Wir konzentrieren uns auf unsere Werte und Kernkompetenzen und versuchen das, was wir machen, richtig gut zu machen - dadurch schärft man automatisch sein Profil. Darüber hinaus finde ich ein offenes und faires Miteinander auch unter Wettbewerbern sehr erstrebenswert. Wir teilen gern, was wir an Erfahrungen gemacht haben und tauschen uns aus. Gemeinsam kommt man meistens weiter, als wenn jeder für sich kämpft.   

Photo: Wildling

Wie würdet Ihr Euren Stil & das Design Eurer Barfußschuhe beschreiben?    

Wir nennen unsere Schuhe eigentlich lieber Minimalschuhe - frei nach dem Konzept “so wenig Schuh, wie möglich”. Das bezieht sich auf den Aufbau des Schuhs, den Einsatz von Materialien aber auch das reduzierte Design. Unser Sohlendesign ist etwas angelehnt an das japanischer Jikatabi-Schuhe. Der Rest ist recht schlicht und klassisch - eben nicht mehr als nötig.   

Welche Materialien verwendet Ihr?  

Durch die verwendeten Materialien kann man Tragegefühl und Funktion des Schuhs stark beeinflussen - wir experimentieren mit sehr vielen Stoffen, die wir aus anderen Bereichen zweckentfremden. Wir nutzen in erster Linie Naturstoffe. Da wo das nicht möglich ist, versuchen wir Recyclingmaterialien oder andere vertretbare Quellen zu finden. Im Winter nutzen wir gern Wolle, weil diese sehr gut wärmt und isoliert, ohne dass man schwitzt. Die Wolle beziehen wir von Marco, unserem langjährigen Partner, der mit seinem Unternehmen Nordwolle den Erhalt alter Schafrassen in Landschaftspflegeprojekten unterstützt. Tierfreie Alternativen sind z.B. Hanf-Flachs aus einer alten Polsterfabrik und gewachste Biobaumwolle. Im Sommer nutzen wir viel Leinen, Nessel und andere leichte Stoffe. Am nächsten dran am Freiheitsgefühl ist man mit unseren Tanukis, die zu 70% aus Washipapier bestehen.   

Photo: Wildling

Welche Menschen arbeiten jeden Tag mit viel Leidenschaft an Eurer Vision und wer stellt die Schuhe her?   

Wildling ist in den letzten Jahren stark gewachsen - unser Team besteht mittlerweile aus fast 140 Personen. Etwa 30 davon arbeiten in unserer Logistik und versenden täglich Schuhe in alle Welt. Der Rest arbeitet meist aus dem HomeOffice, überall in ganz Deutschland verteilt. Unsere flexible, dezentrale Arbeitsweise bietet vor allem für Familien sehr viele Vorteile. Wir sind fast 80% Frauen im Team, von denen viele vorher in ganz anderen Bereichen gearbeitet haben. Unser Lager wird von einem ehemaligen Polizisten geführt, unser Kundenservice von einer Psychologin und das Produktteam schon lange von einer Hutmacherin.  Die Schuhe selbst werden von unseren Produktionspartnern in Portugal hergestellt. Wir arbeiten eng mit kleinen bis mittelgroßen, familiengeführten Fabriken zusammen - mit einem Partner mittlerweile sogar exklusiv. Die enge Zusammenarbeit ermöglicht uns, viel Einfluss auf Produktionsprozesse und Qualität, Arbeitsbedingungen und Umweltstandards nehmen zu können und diese gemeinsam Schritt für Schritt zu optimieren.  

Was ist Euch wichtig bei der Herstellung und nutzt Ihr lokale oder regionale Ressourcen?   

Von Anfang an war uns sehr wichtig, mit wem wir zusammenarbeiten. Wer sind diese Menschen? Wie gehen sie mit ihren Mitarbeitenden um? Welche Philosophie und welche Werte vertreten sie und sind wir da auf einer Wellenlänge? Wir arbeiten grundsätzlich nicht mit Partnern, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, denn wir wollen lange und gut zusammenarbeiten. Das funktioniert aber nur, wenn wir einander vertrauen können. Das betrifft sowohl unsere Produktionspartner als auch unsere Materiallieferanten. Da wir unsere Materialien selbst einkaufen, haben wir Einsicht in Herkunft der Stoffe und Rohmaterialien. Bis auf wenige Materialien, die es hier nicht gibt (z.B. unseren Washistoff), sitzen all unsere Lieferanten in Europa - die meisten in Deutschland und Portugal.    

Photo: Wildling

Wie sieht bei Euch Logistik, Versand & Vertrieb aus?  

Anfangs haben wir die Schuhe von unserem Speicher aus versandt. Dann sind wir in den Keller eines Freundes gezogen, anschließend in eine Gewerbeimmobilie und seit Anfang 2019 sind wir in den Hallen einer alten Spinnerei untergebracht. Unsere Schuhe werden dort gelagert, versandt und Retouren angenommen. Wir haben die Logistikprozesse in den letzten Jahren immer wieder neu austüfteln müssen, um mit den größer werdenden Volumina Schritt halten zu können. Wir mussten viel lernen, nicht alles gelang, aber mittlerweile sieht es schon recht professionell aus.
 Der Vertrieb erfolgt ausschließlich direkt an unsere Endkunden. In erster Linie verkaufen wir online. Seit letztem Jahr haben wir auch einen Lagerstore in Engelskirchen und zwei Showrooms in Berlin und Köln.  

Photo: Wildling

Mit welchen Hindernissen habt Ihr zu kämpfen?  

Herausforderungen gibt es viele, aber sonst wäre es ja auch langweilig. Die Entwicklung eines neuartigen Produktes, der Einsatz neuer Materialien, der Aufbau eines tollen Teams mit einer guten Kultur, gelebte Beziehungen mit unseren Partnern und Kunden sind alles Dinge, die uns jeden Tag beschäftigen, und gleichzeitig Herausforderungen, die wir lieben. Insbesondere im Nachhaltigkeitsbereich, z.B. bei der Schaffung einer komplett transparenten Lieferkette oder bei der Suche nach Lösungen für eine Verlängerung des Produktlebenszyklus (cradle-to-cradle oder zumindest ein vollflächiges Reparaturangebot) warten noch sehr viele spannende Aufgaben auf uns, die auch Geduld brauchen, was nicht immer unsere Stärke ist.   

Photo: juliliphotography

Wo soll die Reise mit „Wildling Shoes“ hingehen?

Unsere gemeinsam mit dem Team definierte Vision ist “From Move to Movement”. Wildling möchte bewegen - wortwörtlich, indem wir Menschen Schuhe bieten, mit denen sie sich freier und natürlicher bewegen können, aber darüber hinaus möchten wir auch in den Köpfen etwas bewegen. Wir wollen Wege finden, nachhaltiger, fairer und innovativer zu handeln als Unternehmen, und wir möchten unsere Erfahrungen teilen, damit möglichst viele den Mut finden, ähnliche Schritte zu tun. Allein kann man Impulse setzen, aber nur gemeinsam kann man wirklich etwas bewegen.

Wichtig ist uns auch, uns über unser Kerngeschäft hinaus zu engagieren - finanziell und mit Arbeitskraft - um Lebensräume zu renaturalisieren. “Rewilding” auf allen Ebenen - das soll nicht nur ein Traum bleiben. 

Vielen lieben Dank Anna für das super spannende Interview über die Gründung Eures wundervollen Labels. Wer jetzt neugierig geworden ist und die bequemen Minimalschuhe näher kennenlernen mag, dem lege ich den Online-Shop von Wildling wärmstens ans Herz!